
Sessionsrückblick: WILWEST reloaded, PFAS, ein rechtswidriges Gesetz und eine musikalische Provokation im Kantonsrat
Die rechtsbürgerliche Mehrheit im St.Galler Kantonsrat verhindert einen konsequenten Gewässerschutz, setzt sich einmal mehr über das Bundesrecht hinweg und scheint mit dem Projekt WILWEST vor allem den motorisierten Verkehr fördern zu wollen.
Aus der Sommersession des Kantonsrates gibt es aus Sicht der GRÜNEN wiederum viel Fragwürdiges und Ernüchterndes zu berichten. Sogar das Ständchen für den neuen Kantonsratspräsidenten sorgte für Irritationen.
GRÜNE fordern Volksabstimmung über WILWEST
Die GRÜNEN Kanton St.Gallen haben sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Projekt WILWEST auseinandergesetzt, auch kantonsübergreifend mit den GRÜNEN Thurgau. In diesem Rahmen wurde ein ausführliches Positionspapier verfasst. Die Haltung der GRÜNEN gegenüber dem Projekt war stets «konstruktiv-kritisch».
Im Hinblick auf den angestrebten Landverkauf vom Kanton St.Gallen an den Kanton Thurgau haben die Kantonsregierungen das Projekt überarbeitet, wobei einige Forderungen der GRÜNEN zur nachhaltigen Gestaltung des Arbeitsplatzgebietes aufgenommen wurden. Das Gesamtvorhaben WILWEST umfasst jedoch auch einen neuen Autobahnanschluss mit Zufahrtsstrassen. Der Ausbau von Infrastrukturen führt per se zu einer Verkehrszunahme, dem sogenannten induzierten Verkehr. Um zu gewährleisten, dass das Siedlungsgebiet von Wil mit der Realisierung von WILWEST nicht durch zusätzlichen motorisierten Verkehr belastet wird, haben die GRÜNEN im Kantonsrat einen Antrag gestellt, wonach zum Zeitpunkt der Realisierung des Anschlusses verkehrsberuhigende Massnahmen, insbesondere Temporeduktionen, umgesetzt sein müssten. Der Antrag wurde deutlich abgelehnt. Die rechtsbürgerliche Mehrheit gab klar zu verstehen, dass sie eine weitere Zunahme des motorisierten Verkehrs billigend in Kauf nimmt.
Unter diesen Umständen werden die GRÜNEN die Vorlage in der zweiten Lesung voraussichtlich ablehnen. Auf jeden Fall werden sie für ein Ratsreferendum votieren. Der Umstand, dass die Politik das Projekt WILWEST trotz negativer Volksabstimmung im September 2022 weiter vorantreibt, stösst teilweise auf Unverständnis. Eine erneute Volksbefragung erscheint deshalb zwingend.
PFAS 1: Dringliche Interpellation zum Fleischskandal
Die GRÜNEN haben eine dringliche Interpellation zur PFAS-Fleischskandal eingereicht. Darin fordern die Leiterin der grünen Kantonsratsgruppe, Tanja Zschokke und Parteipräsident Daniel Bosshard einen konsequenten Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten vor hochbelastetem PFAS-Fleisch. Sie erwarten unter anderem, dass ein Verkaufsstopp von PFAS-Fleisch erfolgt, wenn die gesetzlichen Höchstwerte überschritten sind. Weiter wird gefordert, dass die Regierung sich für eine überkantonale Zusammenarbeit im Umgang mit PFAS einsetzt, solange kein nationaler Aktionsplan vorliegt. Zudem wird auf den Missstand hingewiesen, dass Fleisch von Tieren aus dem PFAS-Risikogebiet nur dann getestet wird, wenn die Tiere im Kanton St.Gallen geschlachtet werden.
Auch wenn die Interpellation vom Kantonsrat nicht als dringlich erklärt wurde, hat der zuständige Regierungsrat Bruno Dammann zugesichert, dass die Beantwortung noch vor den Sommerferien erfolgen wird. Um den Druck auf die Regierung zu erhöhen, haben die GRÜNEN eine Petition lanciert.
PFAS 2: Ressourcenerhöhung für Gewässerschutz
In Folge der Gewässerverschmutzungen mit PFAS durch das multinationale Unternehmen Amcor in Goldach haben die GRÜNEN verschiedene Vorstösse eingereicht, unter anderem zur Schaffung einer umweltspezialisierten Staatsanwaltschaft und zur Stärkung der Kontroll- und Vollzugsstrukturen. Diese Anliegen finden sich nun im Massnahmenpaket zum Bericht «Umweltchemikalien in Gewässer» der Regierung wieder. Die Massnahmen gehen in die richtige Richtung, jedoch müssten aus Sicht der GRÜNEN für einen wirksamen Gewässerschutz die personellen Ressourcen stärker erhöht werden, als von der Regierung vorgeschlagen. Ein entsprechender Antrag der SP-GRÜNEN-GLP-Fraktion wurde vom Kantonsrat abgelehnt. Ein Antrag von der rechtsbürgerlichen Gegenseite, die von der Regierung vorgeschlagene minimale Personalerhöhung um 300 Stellenprozente zu streichen, fand eine Mehrheit – ein weiterer bedenklicher Entscheid zu Lasten des Gewässerschutzes und der Gesundheit der Bevölkerung.
Rechtswidrige Anpassung im Sozialhilfegesetz
Der Kantonsrat hat in erster Lesung ein Gesetz verabschiedet, das klar rechtswidrig ist. Anerkannten Flüchtlingen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, soll es in Zukunft verunmöglicht werden, in jene Gemeinde zu ziehen, in der sie wohnen möchten. Dass mit grosser Wahrscheinlichkeit dereinst das Bundesgericht dem neuen Gesetz die Anwendung versagen wird, und für die Gemeinden eine rechtsunsichere Situation entsteht, interessiert die Mehrheit des Kantonsrates nicht.
Fragwürdiges musikalisches Intermezzo
Am Sessionsmontag wurde Walter Freund von der SVP für ein Jahr als Kantonsratspräsident gewählt. Es ist üblich, dass nach der Neubesetzung der obersten St.Gallerin resp. des obersten St.Gallers im Kantonsratsaal ein musikalisches Intermezzo stattfindet. In diesem Jahr waren dies die Guggenmusig «Bazzaschüttler» aus Eichberg, die Walter Freund mitgegründet hat und in der aktuell dessen Sohn und SVP-Kantonsrat Christian Freund mitspielt. Als erstes von drei Liedern wurde «l’amour toujours» Gigi d’Agostino performt. Die GRÜNEN erachten die Songauswahl mehr als fragwürdig. Seit dem «Sylt-Vorfall» ist dieses Lied von den Rechtsextremen gekapert worden und politisch stark konnotiert. Auch wenn sich der Komponist davon distanziert hat und der Song auf keinen Fall zensiert werden soll, hatte die Aufführung anlässlich der Wahl eines Rechtskonservativen zum Kantonsratspräsidenten einen fahlen Beigeschmack. Die Frage drängt sich auf, ob es sich um eine bewusste Provokation handelt.
Weiterführende Informationen:
Positionspapier GRÜNE SG und GRÜNE TG zu WILWEST vom 27.06.2023