St.Galler Regierung will Ausländerstimmrecht in Gemeinden ermöglichen
Eine Motion der GRÜNEN fordert, dass die Gemeinden im Kanton St.Gallen die Möglichkeit erhalten, das Stimmrechtsalter 16 und das Ausländerstimmrecht für kommunale Wahlen und Abstimmungen einzuführen. Die Regierung empfiehlt dem Kantonsrat, die Motion in Bezug auf das Ausländerstimmrecht gutzuheissen. Bezüglich des Stimmrechtsalters gibt sie sich zurückhaltend.
Die Verfassung des Kantons St.Gallen ist ein ungewöhnlich statischer Rechtstext. Seit ihrer Totalrevision im Jahr 2001 wurde sie erst zweimal geändert. Motionen, die nicht bloss auf eine Gesetzes-, sondern auf eine Verfassungsänderung abzielen, haben im Kantonsrat Seltenheitswert. An der Aprilsession haben die GRÜNEN eine solche Motion eingereicht. Sie verlangt, dass die Gemeinden einen Spielraum bei der Ausgestaltung der politischen Rechte erhalten. Dieser Spielraum soll es ihnen ermöglichen, das Stimmrechtsalter 16 sowie das Ausländerstimmrecht in Gemeindeangelegenheiten einzuführen.
In der Begründung der Motion nehmen die GRÜNEN Bezug auf das 50-jährige Jubiläum des Frauenstimmrechts in der Schweiz: Die Tatsache, dass die weibliche Hälfte der Bevölkerung bis ins Jahr 1971 von der politischen Teilhabe ausgeschlossen war, würden die meisten Schweizerinnen und Schweizer heute als beschämend empfinden. Der Blick in die Geschichte zeige, dass das Demokratieverständnis einem steten Wandel unterworfen sei. Der Ausschluss gewisser Bevölkerungsgruppen von der politischen Mitbestimmung erscheine aus zeitgenössischer Sicht jeweils als Selbstverständlichkeit, könne jedoch bereits aus der Distanz weniger Jahrzehnte als fragwürdig und illegitim beurteilt werden. Vor diesem Hintergrund wolle die GRÜNE-Fraktion eine Debatte über die Weiterentwicklung der Demokratie im Kanton St.Gallen anstossen.
Die Regierung zeigt sich in ihrer Stellungnahme an den Kantonsrat offen für eine solche Debatte und beantragt die Gutheissung der Motion mit geändertem Wortlaut. Die Beteiligung eines möglichst grossen Anteils der ansässigen Bevölkerung am gesellschaftlichen und politischen Diskurs trage zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei. Ein Blick in andere Kantone zeige, dass vor allem in der Westschweiz das Stimm- und Wahlrecht für ausländische Personen auf kommunaler Ebene verbreitet sei. Es handle sich um eine mittlerweile bewährte Möglichkeit zur Weiterentwicklung der politischen Rechte. Skeptisch äussert sich die Regierung hingegen zum Stimmrechtsalter 16: Eine Differenzierung zwischen politischer und zivilrechtlicher Mündigkeit sei unzweckmässig. Zudem sei der Zeitpunkt für eine Einführung des Stimmrechtalters 16 auf Gemeindeebene ungeeignet, da entsprechende Diskussionen aktuell auch auf Bundesebene laufen.
Die GRÜNEN sind erfreut über Bereitschaft der Regierung, das fakultative Ausländerstimmrecht auf Gemeindeebene einzuführen. Sie hoffen, dass der Kantonsrat an der bevorstehenden Juni-Session dieser aufgeschlossenen Haltung folgt. Die Skepsis der Regierung in Bezug auf das Stimmrechtsalter 16 ist für die GRÜNEN nur bedingt nachvollziehbar, da eine fakultative Senkung des Stimmrechtsalters – gleichermassen wie die fakultative Einführung des Ausländerstimmrechts – die politische Integration sowie die Gemeindeautonomie stärken würde. Die GRÜNE-Fraktion entscheidet an ihrer morgigen Landsitzung, ob sie sich dem Antrag der Regierung anschliessen oder an der ursprünglichen Fassung des Motionstextes festhalten wird.
Motionstext vom 20. April 2021 und Antwort der Regierung vom 25. Mai 2021