Die GRÜNEN sorgten mit ihrer Motion «Mehr Demokratie wagen – Gemeindeautonomie im Bereich der politischen Rechte erhöhen» für eine hitzige Debatte im St.Galler Kantonsrat.Obwohl die Regierung die Gutheissung der Motion beantragte, lehnte der Kantonsrat diese schliesslich deutlich ab.

Ist politische Mitbestimmung ein Menschenrecht? Oder soll sie ein Privileg sein, das man sich verdienen muss? Wem stehen politische Rechte zu, und wer soll über die Verleihung dieser Rechte entscheiden? Die GRÜNEN nehmen das Jubiläum «50 Jahre Frauenstimmrecht» zum Anlass, über diese staatspolitischen Grundsatzfragen neu zu reflektieren und zu debattieren.

Demokratieverständnis ist einem steten Wandel unterworfen
Für die meisten Schweizer*innen ist es heute völlig unverständlich, dass die weibliche Hälfte der Bevölkerung bis ins Jahr 1971 von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen war. Die Geschichte lehrt, dass das Demokratieverständnis einem steten Wandel unterworfen ist und wir uns davor hüten sollten, unsere heutige Auffassung als letztgültig zu betrachten. Der Ausschluss gewisser Bevölkerungsgruppen von der politischen Mitbestimmung erscheint aus zeitgenössischer Sicht jeweils als Selbstverständlichkeit, kann jedoch bereits aus der Distanz weniger Jahrzehnte als fragwürdig und illegitim beurteilt werden. Ausweitungen der politischen Rechte stossen stets auf erbitterten Widerstand, werden im Nachhinein jedoch kaum mehr in Frage gestellt.

In anderen Kantonen und Gemeinden bereits eingeführt
Mehrere Kantone kennen bereits ein Ausländerstimmrecht auf Gemeinde- (NE, JU, VD, FR, GE) und auf Kantonsebene (JU, NE). In AR, GR und BS steht es den Gemeinden frei, das Ausländerstimmrecht auf kommunaler Stufe einzuführen. Im Jahr 2007 hat der Kanton GL das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre gesenkt und im Herbst 2020 stimmte der Nationalrat einer Motion zur Einführung des Stimmrechtsalters 16 auf Bundesebene zu.

Vor diesem Hintergrund forderten die GRÜNEN im St.Galler Kantonsrat eine Verfassungsänderung, welche es den Gemeinden ermöglichen sollte, das Stimmrechtsalter 16 und das Ausländerstimmrecht in kommunalen Angelegenheiten einzuführen. Es wurde bewusst ein vorsichtiger Ansatz gewählt, welcher der Gemeindeautonomie und dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen hätte.

Keine Chance im Kantonsrat
Erfreulicherweise zeigte sich die Regierung aufgeschlossen und beantragte, die Motion in Bezug auf das Ausländerstimmrecht gutzuheissen. Im Kantonsrat stiess dieser Antrag jedoch auf heftige Gegenwehr. Die Debatte gipfelte in der polemischen Frage des SVP-Sprechers, ob die Regierung «den Verstand verloren» habe. Schliesslich wurde die Motion von der SVP-FDP-CVP-Mehrheit wuchtig abgeschmettert. Einmal mehr zeigte sich, dass die Uhren in St.Gallen langsamer ticken als in anderen Kantonen.

Passives Wahlrecht von Ausländerinnen und Ausländern in den Gemeinden (Quelle: BFS, 2021)