Eine Schulklasse erhält die Resultate einer Klausur: Alle Schülerinnen und Schüler sind durchgefallen. Die erzielten Noten liegen zwischen 1 und 3. Nur eine Schülerin hat die Note 3.5 erreicht und brüstet sich lauthals damit, die Klassenbeste zu sein. Was sagen Sie dazu? Ich finde das Verhalten dieser Schülerin peinlich. Sie hat wenig Grund, stolz auf sich zu sein. Zwar ist sie besser als die anderen, aber in einer so schwachen Klasse ist das keine Kunst. Ungenügend bleibt ungenügend!

Gleich wie diese Schülerin verhalten sich die Gegner der Massentierhaltungsinitiative, wenn sie sich damit brüsten, die Schweiz habe das strengste Tierschutzgesetz der Welt. Was für eine pauschale, scheinheilige Behauptung! Richtig ist: Im ersten Kapitel des Gesetzes werden durchaus fortschrittliche Grundsätze aufgestellt. Insbesondere der Schutz der Tierwürde ist weltweit einzigartig. Den Millionen von Tieren, die eingepfercht in Ställen leben und den freien Himmel höchstens beim Transport in den Schlachthof einmal sehen, nützt das herzlich wenig. Denn die konkreten Vorschriften zur Tierhaltung finden sich auf Verordnungsstufe. In der juristischen Literatur herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass viele Bestimmungen der Tierschutzverordnung gesetzeswidrig sind. Das heisst: Die gesetzlichen Prinzipien werden in der Verordnung nicht konsequent umgesetzt. Oder im Klartext: Die angeblich so mustergültige Schweizer Tierschutzgesetzgebung ist löchrig wie ein Emmentaler Käse!

Nur ein Beispiel: Ein 100-Kilo-Mastschwein darf gemäss Verordnung auf einer Fläche von 0.9 Quadratmetern ohne Einstreu und ohne Auslauf gehalten werden. Wenn Hunde oder Katzen so leben müssten, wäre das Urteil der Öffentlichkeit klar: Skandal! Tierquälerei! Doch für die Würde der Schweine interessiert sich keine Sau…

Sebastian Koller, Tierarzt und Jurist, Politischer Sekretär GRÜNE SG, Mitglied Stadtparlament Wil