„Ich muss zu Beginn meines Votums etwas ausholen. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Paradoxie, dass genau in jener Woche, in der die mittlerweile 27. UNO-Klimakonferenz stattfindet, wir hier in der Stadt St.Gallen allen Ernstes über einen neuen, fünften Autobahnanschluss diskutieren. Und das im Jahr 2022.

Während also in Ägypten UNO-Generalsekretär Antonio Guterres die Konferenz einläutet mit dem Worten: «Wir befinden uns auf dem Highway in die Klimahölle und haben den Fuss noch auf dem Gaspedal»,
während weltweit seit Jahren die Temperaturen steigen und wir ein Rekordjahr nach dem anderen erleben;
während ein weiterer Hitzesommer in Europa zu Waldbränden geführt und die Schweizer Gletscher 6% ihres Volumens verloren haben;
während wir einen Oktober erlebten, der in der Schweiz im Vergleich zur bereits stark erwärmten Referenzperiode von 1990-2020 nochmals fast 4° Grad zu warm ausfiel;
während wir von katastrophalen Hungersnöten in Ostafrika lesen und Bilder von Überschwemmungen in Pakistan sehen;
während das Bundesamt für Umwelt vor einem Biodiversitätsverlust warnt, der «eine Bedrohung der Existenzgrundlage für die Menschen darstellt»;
während die Hälfte aller einheimischen Tier- und Pflanzenarten bedroht sind;
während wir wissen, dass ein Drittel der weltweiten Ökosysteme vor dem Kollaps stehen, dass die Arktis pro Jahr 150 Mia. Tonnen Eis verliert, dass 155 Mio. Menschen aufgrund von Extremwetterereignissen hungern (die Hälfte davon Kinder);
während wir wissen, dass laut UNO über 30 Mio. Menschen im Jahr 2020 ihre Heimat aufgrund von Naturkatastrophen verlassen mussten;
während wir wissen, dass der Strassenverkehr in der Schweiz rund einen Drittel zu den Treibhausgasemissionen beiträgt und der CO2-Ausstoss dabei seit Jahren konstant geblieben ist;

während wir all diese wissenschaftlich erwiesenen Fakten zur Sachlage in der Welt und in der Schweiz kennen, möchten uns ASTRA, Kanton, Autolobby, Bürgerliche Parteien und der Stadtrat also weismachen, dass die Antwort auf diese dringenden Probleme tatsächlich ein «Weiter-Wie-Bisher» – ja sogar ein «Mehr-vom-Gleichen» ist.

Bund, Kanton und Stadtrat erachten es als sinnvoll und zukunftsgerichtet, für fast 1 Milliarde Franken einen Tunnel inklusive Autobahnanschluss mitten in die Innenstadt und Halbanschluss nach Zürich zu bauen, damit einige unverbesserliche Autopendlerinnen und -pendler aus steuerbegünstigten Gemeinden mit gesamthaft gerade einmal rund 13’000 Einwohnerinnen und Einwohner noch einfacher mit ihrem Auto in die Stadt oder auf die A1 in Richtung Zürich fahren können.

Gewisse Parlamentskolleginnen und -kollegen mögen nun antworten, man solle nicht immer mit der gleichen «alten Leier» kommen – mit den grossen Katastrophenszenarien. Es gehe hier bitte schön um einen Autobahnanschluss in St.Gallen und nicht ums Weltklima, da können wir als kleines Stadtparlament sowieso nichts ausrichten. Das stimmt: Die weltweite Klimakrise wird nicht gelöst, indem St.Gallen auf einen Autobahnanschluss verzichtet. Schön wär’s! Doch ich sitze nun mal nicht in Ägypten am Verhandlungstisch, sondern hier im Stadtparlament und versuche deshalb hier im Kleinen etwas zu bewegen. Ich versuche endlich ein Zeichen zu setzen, dass ein «Weiter-Wie-Bisher» einfach keine Lösung mehr sein kann. Ein Zeichen setzen, dass es nach über 60 Jahren des stetigen Autobahnausbaus in der Schweiz endlich einen Wandel braucht und wir uns endlich von der jahrzehntelang vorgetragenen Illusion der Autofraktion und von bürgerlichen Parteien verabschieden müssen, dass mit mehr Strassen automatisch auch der Stau wie von Zauberhand zum Verschwinden gebracht werde. Denn das Ergebnis dieser jahrzehntelangen Bemühungen kennen wir alle: eine gewaltige Zunahme des Autoverkehrs!

Die kürzlich abgeschlossene Testplanung hat gezeigt: Der Autobahnanschluss wird mehr Autoverkehr im Stadtzentrum generieren. Knoten wie die St.Leonhardsbrücke, wohl auch das Schibenertor oder der Blumenbergplatz würden mit noch mehr Autos geflutet. Selbst das Beurteilungsgremium kommt zum Schluss, dass der Autobahnanschluss mit dem neuen sechsspurigen Verkehrsknoten an der St.Leonhardsbrücke durch die «zusätzliche Versiegelung von Flächen zur Hitzeinsel-Bildung» beitrage und die Verkehrsträger zulasten «des Fuss- und Veloverkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs» verschiebe.

Beide Punkte zeigen, dass der Autobahnanschluss weder mit den Anstrengungen gegen die städtische Klimaerhitzung noch mit den Zielen des städtischen Mobilitätskonzeptes 2040 vereinbar ist.

Wir können noch so viel Geld in die Förderung von Biodiversitätsflächen reinstecken, noch so viele Bäume pflanzen, noch so viele neue Velospuren bauen. Solange wir nicht bereit sind, jenem Mobilitätsträger, der für einen Drittel der Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich ist, nicht noch weiter den roten Teppich auszurollen, bleibt es Wunschdenken, dass wir die Klimakrise stoppen und Netto-Null 2050 erreichen.

Ich möchte noch auf zwei Argumente reagieren, welche gegenüber den Gegnerinnen und Gegner des Autobahnschlusses häufig eingebracht werden.

Erstens: Uns wird häufig «verkehrspolitische Ideologie» vorgeworfen, sobald wir uns gegen neue Strassen und für die Förderung von klimafreundlichen Veloverkehrs einsetzen. Als ob das bürgerliche Mantra des ewigen Strassenbaus für den motorisierten Individualverkehr nicht ideologisch motiviert ist. Fakt ist: Wir brauchen neue, zukunftsfähige Lösungen, um den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. Diese unterstützen wir.

Zweitens wird uns aufgrund der vor knapp sieben Jahren erfolgten Ablehnung zur Initiative «Für ein lebendiges Güterbahnhofareal ohne Autobahnanschluss» Demokratiefeindlichkeit vorgeworfen. Dazu als Entgegnung: Erstens hat die städtische Bevölkerung damals Nein gesagt zu einer Initiative und nicht zum vorliegenden konkreten Strassenprojekt. Und zweitens ist seit sieben Jahren das Bewusstsein und das Wissen über die Auswirkungen der Klimakrise enorm angestiegen. 2019 haben in Bern 100’000 Personen an der Klimademo teilgenommen. Der Klimawandels steht nach der Altersvorsorge an oberster Stelle im Sorgenbarometer. Zudem hat die städtische Bevölkerung im Jahr 2020 den Klimaartikel und damit das Ziel von 0 Tonnen CO2 bis ins Jahr 2050 mit fast 80% der Stimmen angenommen, im Stadtparlament waren 57 Mitglieder dafür, nur 1 dagegen. Seither steht in der Gemeindeordnung, dass die Stadt St.Gallen «bei ihrer Tätigkeit Massnahmen fördert, die dem Schutz des Klimas dienen» und dabei «geeignete Massnahmen trifft, um den negativen Folgen des Klimawandels entgegenzutreten». Eine neue Autobahnausfahrt gegen die negativen Folgen des Klimawandels? Im Ernst?

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen. Wir können in Anbetracht dieser Tatsachen nicht einfach weitermachen wie bisher.

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass neue Technologien oder die Elektromobilität mit ihren Ressourcen aus äusserst heiklen Ökosystemen das Emissionsproblem von selbst lösen. Wir können in der aktuellen finanziellen und ökologischen Lage der Stadt nicht an einem Milliardenprojekt für den Individualverkehr festhalten, welches die Vergangenheit zementiert, die zukünftigen Probleme ausblendet und frühestens im Jahr 2040 eröffnet wird. Wir können nicht alle unsere Konzepte über Bord werfen für eine Baustelle, welche teilweise im Tagebau ausgeführt wird und weitere Folgen nach sich ziehen wird.

Was wir aber können, ist endlich den Mut haben, um «Stopp!» zu sagen: Stopp zum Autobahnanschluss Güterbahnhof, der weder mit der Klimastrategie 2050 des Bundes noch mit den städtischen Klima- und Energiezielen vereinbar ist.

Haben wir heute als Parlament den Mut dazu. Stimmen wir für die Erheblicherklärung des Postulates und für den Übungsabbruch Autobahnanschluss Güterbahnhof.

Vielen Dank.“

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