© Quelle: Stadt St.Gallen

Man hätte sich zu Beginn der neuen Legislatur auch mit den vielen politischen Herausforderungen in der Stadt St.Gallen auseinandersetzen können. Stattdessen wirft das «St.Galler Tagblatt» am Vorabend der Wahl des höchsten Amts im Stadtparlament ohne sachliche Grundlage Zweifel an der Eignung von Jeyakumar Thurairajah und Miriam Rizvi auf. So heisst es in einem Artikel und Kommentar: «Kann ein gebrochen Deutsch sprechender Grüner den Parlamentsbetrieb leiten?» Oder: «Niemand will sich dem Vorwurf aussetzen, etwas gegen Ausländer zu haben. Zumal Thurairajah sympathisch ist». Weiter heisst es vorsorglich bis entlarvend: «Wer daran zweifelt und es öffentlich sagt, ist nicht ausländerfeindlich, sondern zeigt Respekt vor dem herausfordernden Amt.» Ebenso werden zusammenhangslos Vorwürfe gegenüber Miriam Rizvi aufgewärmt, ohne zu erwähnen, dass weiterhin die Unschuldsvermutung gilt.

Paternalistische Haltung

Dass ein «gebrochen Deutsch sprechender» Politiker als Parlamentspräsident auf diese Weise in Frage gestellt wird, offenbart eine beschämende und paternalistische Haltung gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte in öffentlichen Ämtern. Es geht nicht darum, ob jemand «sympathisch» ist, sondern um grundlegenden Respekt gegenüber jeder Person, die sich einem solch «herausfordernden Amt» stellt. Es ist nicht die sprachliche Perfektion, die den Wert eines Ratspräsidenten ausmacht, sondern die Fähigkeit, Sitzungen fair und respektvoll zu führen – eine Kompetenz, die Thurairajah in seiner bisherigen politischen Arbeit bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat.

Publizistische Verantwortung wahrnehmen

Solche Berichterstattung, die hinter vorgehaltener Hand geäusserte Vorurteile verstärkt, geht einer fremdenfeindlichen und gefährlichen Strategie auf den Leim, die man von populistischen Rechtsparteien kennt. Statt Polemik braucht es in St.Gallen eine sachliche, differenzierte und respektvolle Berichterstattung. SP und Grüne fordern das «St.Galler Tagblatt» dazu auf, seiner publizistischen Verantwortung gerecht zu werden und zur konstruktiven Meinungsbildung beizutragen, anstatt für ein paar zusätzliche Klicks Misstrauen zu schüren. Der respektvolle Umgang, der das politische Klima in St.Gallen bisher geprägt hat, darf nicht durch eine grenzüberschreitende Stimmungsmache gefährdet werden. Es sollte im Interesse aller sein, diese Werte zu verteidigen – sowohl im Parlament als auch in den Medien. Die Stadtpolitik ist eine Plattform für Vielfalt und Teilhabe; entsprechend ist es ein Gewinn für die Demokratie, wenn Personen mit vielfältigen Lebenserfahrungen Verantwortung in der Politik übernehmen.