Offener Brief an Frau Regierungsrätin Susanne Hartmann
Das St. Galler Tagblatt hat am 25. November 2025 ein Interview mit Regierungsrätin Susanne Hartmann zur geplanten dritten Röhre der Stadtautobahn sowie zum Autobahnanschluss beim Güterbahnhof St. Gallen veröffentlicht. Mehrere Aussagen darin treffen die Stadt St. Gallen und ihre Bevölkerung, sowie den Stadtrat. Ein breites Bündnis an Parteien und Vereinen haben als Antwort darauf einen offenen Brief an die Regierungsrätin verfasst:
Sehr geehrte Frau Hartmann
Mit grosser Irritation haben wir Ihr Interview vom 25. November 2025 im St.Galler Tagblatt zur geplanten dritten Röhre der Stadtautobahn und zum Autobahnanschluss beim Güterbahnhof St.Gallen gelesen. Ihre Aussagen geben Anlass zur Sorge, wie mit den Anliegen der Stadt St.Gallen und den Ergebnissen direktdemokratischer Abstimmungen umgegangen wird.
Im Gespräch betonen Sie, der Entscheid der städtischen Bevölkerung an der Urne sei «nicht bindend», da es sich um ein Projekt des Kantons und des Bundes handle. Selbst wenn dies formal zutreffen mag, lässt diese Haltung wenig Raum für die Anliegen der Stadtbevölkerung, die den grössten Teil der Lasten tragen müsste. Es entsteht der Eindruck, dass die Stadt als direkt betroffene Standortgemeinde weder als politische Partnerin, noch als eine Bevölkerung mit legitimen Interessen, sondern nur noch als ein formales Hindernis gesehen wird. Diese Haltung ist einer demokratisch gewählten Vertretung nicht würdig.
Verwundert hat uns auch Ihr Unverständnis gegenüber der neu formulierten Haltung des Stadtrats. «Wie kommt der Stadtrat dazu?», fragen Sie und erklären, man werde ihn «darauf hinweisen», dass er in der Mitverantwortung stehe. Nun, der Stadtrat (wie zuvor bereits das Stadtparlament) kam «dazu», wie demokratische Behörden eben dazu kommen: indem sie neue Informationen prüfen, Folgen abwägen und Stimmen aus der Bevölkerung ernst nehmen. Dafür wurden sie gewählt. Der Eindruck, der Stadtrat müsse von oben «angeleitet» werden, wirkt eher schulmeisterlich als partnerschaftlich und ist eher ein Zeichen für fehlenden Dialog als für fehlende Verantwortung.
Womit wir beim Verhältnis von Stadt und Kanton sind: Sie betonen wiederholt, es handle sich um ein regionales Anliegen, weshalb auch das regionale Ergebnis massgebend sei. Doch ein Projekt, das mitten in die Stadt gebaut wird, ist zwangsläufig mehr als ein Regionalprojekt: Die Bau- und Verkehrslasten liegen in der Stadt. Die städtebaulichen Konsequenzen betreffen die Stadt. Gerade als kantonale Umweltministerin tragen Sie Mitverantwortung für (auch urbane) Lebensqualität und Kompromisslösungen, die Stadt und Region Rechnung tragen.
Zu den inhaltlichen Punkten möchten wir ebenfalls Stellung nehmen. Sie sagen, die Stadtautobahn müsse «abfliessen können», und dafür brauche es zwingend den neuen Anschluss für rund 1 Milliarde Franken. Nun: Verkehr verschwindet nicht unterirdisch, nur weil der Tunnel es vorgibt. Jeder Abfluss endet einmal irgendwo: In diesem Fall mitten in der Innenstadt auf zentralen Achsen des Velo-, Fuss- und öffentlichen Verkehrs bzw. in Wohnquartieren (Güterbahnhof) oder in einem Landschaftsschutzgebiet (Liebegg). Auch der Hinweis, man könne niemanden zwingen, Velo oder ÖV zu nutzen, greift zu kurz. Mobilitätsverhalten entsteht nicht bloss aus freien Entscheidungen im luftleeren Raum, sondern aus der Infrastruktur, die wir bauen oder eben nicht bauen. Anreize zu setzen, Alternativen zu stärken und ökologisch sinnvolle Mobilität zu erleichtern, ist keine Ideologie, sondern notwendige Klimapolitik. Das Geld und die Planungsarbeit wären in echten, dauerhaften, nachhaltigen, partnerschaftlichen Lösungen besser und gewinnbringender angelegt.
Wenn wir Sie richtig verstehen, soll die Bevölkerung den Kopf hinhalten, um Stau auf der Autobahn zu verhindern. Diese bemerkenswert einseitige Prioritätensetzung lässt uns dann doch etwas erstaunt zurück. In Ihrer Analyse zur Dringlichkeit des Autobahnausbaus bleibt ausserdem ein wichtiger Fakt stets unerwähnt: Der Bau dieses gigantischen Projekts mitten in der Stadt während zehn Jahren. Dabei sind die täglich hunderten Lastwagenfahrten, Lärm, Staub und jahrelange Umleitungen keine akademischen Einwände, sondern ernstzunehmende Risiken für die Lebensqualität von tausenden Menschen und ebenfalls ein wirtschaftlich negativer Standortfaktor.
Sie erwähnen, man müsse vermeiden, dass der Verkehr kollabiere, sollte der Rosenbergtunnel saniert werden. Kein Mensch bestreitet die Herausforderungen dieser Sanierung. Doch Herausforderungen allein legitimieren nicht automatisch die teuerste, invasivste und städtebaulich problematischste Variante. Wenn sogar das Astra prüft, ob eine Sanierung im Betrieb möglich wäre, sollte doch wenigstens anerkannt werden, dass Alternativen existieren und dass die Stadt ein berechtigtes Interesse daran hat, diese sorgfältig abzuwägen. Zudem liegen nachhaltigere Lösungen längst auf dem Tisch: Ein wirksames Verkehrsmanagement, der Ausbau von ÖV- und Veloinfrastruktur sowie gezielte Anreize wie Mobility Pricing können den motorisierten Individualverkehr reduzieren und damit die Spitzenbelastungen auf der Stadtautobahn entschärfen. Damit würde nicht nur der Verkehr während der Sanierung besser abgefedert, sondern auch langfristig ein nachhaltiger Modalsplit zugunsten von Fuss-, Velo- und öffentlichem Verkehr erreicht.
Die Sorgen der Stadtbevölkerung, des Parlaments, der Umweltverbände und der Stadtregierung als «ideologisch» oder «Partikularinteressen» abzutun, wird der Sache nicht gerecht. Schliesslich geht es um eine Abwägung aller Vor- und Nachteile, und dabei steht eine Mehrheit der Stadtsanktgaller:innen wie auch der schweizerischen Bevölkerung hinter zukunftsgerichteten Lösungen. Denn ebenso gut liesse sich auch jene Haltung als ideologisch bezeichnen, die davon ausgeht, man müsse jederzeit staufrei und komfortabel mit dem Auto in die Stadt fahren können. Gerade von Ihnen als Umweltministerin, welcher die Nachhaltigkeit ein grosses Anliegen ist, hätten wir erwartet, dass ökologische Folgen, der Schutz urbaner Räume und die Argumente der Stadt entsprechend Gehör finden. Ausserdem muss bei einem Projekt dieser Grössenordnung zwingend auch über den erheblichen Landverbrauch gesprochen werden: Über viele Jahre würden Installationsplätze auf Landwirtschaftsflächen entstehen, neue Deponien geschaffen und Wald dauerhaft gerodet – Eingriffe, deren Auswirkungen weit über die Bauzeit hinausreichen. Dass diese Aspekte im Interview kaum Beachtung fanden, bedauern wir sehr.
Uns ist bewusst, dass der Kanton eine Verantwortung für die regionale Mobilität trägt. Doch ebenso trägt er Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt und eine respektvolle Zusammenarbeit zwischen Stadt und Umland. Dazu gehört, die Sorgen der Stadtbevölkerung nicht als zweitrangig oder rein ideologisch abzutun. Wir wünschen uns eine Debatte, die weniger in Vorwürfen und Zuschreibungen verharrt und nach Lösungen sucht, die für Stadt und Region tragfähig sind.
In diesem Sinn hoffen wir auf eine Versachlichung der Diskussion, die dem ganzen Kanton St.Gallen zugutekommt.
Mit freundlichen Grüssen
Parteien und Vereine, vertreten durch:
Christoph Kobel, Präsident SP Stadt St.Gallen
Rebekka Schmid, Co-Präsidentin Grüne Stadt St.Gallen
Andrea Hornstein, Stadtparlamentarierin Politische Frauengruppe St.Gallen
Claudius Krucker, Präsident Grünliberale Stadt St.Gallen
Noëmi Schubiger, Vorstandsmitglied JUSO Stadt St.Gallen
Dana Eisenring, Co-Präsidentin Junge Grüne St.Gallen
Florim Sabani, Präsident Verein gegen den Autobahnanschluss am Güterbahnhof
Jaap van Dam, Präsident Verein Pro Velo St.Gallen Appenzell
Ruedi Blumer, Präsident VCS St.Gallen
Franziska Ryser, Nationalrätin, Co-Präsidentin umverkehR
Claudia Friedl, Nationalrätin SP
Für Rückfragen:
Rebekka Schmid
Co-Präsidentin Grüne Stadt und Region St.Gallen